Ins Zarenreich
Vor den Fenstern unseres Zuges spiegelt sich der Birken- und Fichtenwald Finnlands in stillen Waldseen.
Mit dem Überqueren der russischen Grenze werden die hübschen roten Blockhäuser abgelöst durch etwas weniger hübsche alte Industrieanlagen, außerdem bekommen die netten finnischen Grenzbeamten Verstärkung von etwas weniger netten russischen Kollegen, die von der Uniform her bestimmt auch beim KGB hätten arbeiten können.
Welcome to Russia.
Von Ploschad Lenina nach Vladimirskaya
Wir sind vor etwa fünf Minuten am Finlyandskiy Bahnhof in St. Petersburg angekommen, und schon quatscht uns ein betrunkener Russe an, bis er von seiner weniger betrunkenen Begleitung zur Seite gezogen wird. Ein paar Meter weiter steht ein grimmig aussehender Mann mit einem Strauß Blumen.
Ich kaufe in einer kleinen Hütte vor dem Bahnhof eine SIM, dann geht's weiter mit der Metro (muss man erst mal finden...) zum Apartment. Mit Internet wird doch gleich alles viel einfacher — bis auf elektronische russische Türschlösser vielleicht, die sind immer noch schwierig. Aber nachdem wir zwanzig Minuten lang alle möglichen Knöpfe gedrückt, Codes eingegeben und aus Versehen bei zwei Wohnungen geklingelt haben, ist diese Hürde dann auch genommen.
Russisch klingt übrigens erst richtig gut, wenn es mit tiefer Stimme über kratzige Lautsprecher in der Metro kommt.
An unserem ersten Tag St. Petersburg wird dann pflichtbewusst das wichtigste Touristenprogramm abgearbeitet. Kirchen, Paläste und so was.
Art?
Für den nächsten Tag ist die Heremitage, russisches Louvre-äquivalent geplant — unsere Besuchszeit teilt sich etwa 50/50 auf auf an der Garderobe (für 2400 Menschen) warten und eine halbe Stunde durch die Räume rennen. Die Ölgemälde hier finde ich persönlich nicht besonders spannend, dafür gibt es tolle Räume zu entdecken — Bibliotheken, goldene Säle, Samt-everything, Kronleuchter, etc.
Danach wechseln wir auf die andere Seite des Platzes in das Generalstabsgebäude, das unter anderem die moderne und zeitgenössische Sammlung der Heremitage beheimatet. Besagte Sammlung entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als ein Anselm Kiefer und ein Videoprojekt von Bill Viola. Ansonsten mehr Ölgemälde mit etwas Picasso und Matisse zwischendurch.
Hideaway
Wir stehen vor einer großen Holztür, ein paar Schritte neben uns werben verkleidete Russen für ein Wachsfigurenmuseum, der Charlie Chaplin im Schaufenster sieht sieht aber eher aus wie von den Toten auferstanden.
An der Klingel hängt ein handgeschriebener Zettel auf russisch, die Zahl drei sticht prominent hervor.
Wir interpretieren das mal als "Klingelt bei der drei", und tatsächlich öffnet sich wenige Sekunden später die Tür zu einem hübschen Altbau-Treppenhaus. Im ersten Stock öffnet jemand die Tür und heißt uns willkommen im Café Brat — ein ruhiges, etwas verstecktes Café mit Loft-flair. Eine Bedienung macht Pause auf dem Sofa während wir unsere Jacken in den Wandschrank hängen.
Unser Kellner fühlt die Musik und tanzt mit einer Kanne Hibiskustee durch den Raum, eine andere Angestellte huscht im Blumenkleid mit einem Stapel Pfannkuchen dazwischen.