Going Somewhere

Dusk Till Dawn
April 9th 2019

Nachdem unser Programm bis jetzt recht Stadt-lastig war, machen wir uns heute schon früh auf den Weg in die Natur — die Alishan National Forest Recreation Area, um genau zu sein. Auf den Berg geht's mit dem Alishan Forest Train, einem hübschen alten Schmalspurzug, dessen Wert als Tourismusattraktion sich Jan noch nicht so ganz erschließt.
A family happily posing for a group picture next to a red vintage train in a train station
Happy Little Train
Der Zug bahnt sich schaukelnd den Weg durch steile Berglandschaften, ab und zu gibt es chinesische Durchsagen zum Streckenverlauf, auf die hin alle angestrengt aus dem Fenster schauen. Wenn wir gerade nicht die Aussicht bewundern, lesen wir Reviews zu unserem Hotel in Alishan — "Spend more money on living, don't abuse yourself" ist eine davon. Außerdem sei das Frühstück "unbesiegbar" — was das bei einer Ein-Stern Bewertung zu bedeuten hat, bleibt uns nur zu vermuten.

Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob der Zug nur als 'historisch' gilt, weil er etwas wackelt und alt ist, ist die Fahrt trotzdem einigermaßen entspannend. Als einziger Europäer unter chinesischen Touristen zu sein hat auch einen gewissen Unterhaltungswert.
A panorama of palm trees and other greenery in a hilly landscape, fading out into the haze in the distance
Zugpanorama
A small wooden house with a red roof standing in front of a mountainous forest disappearing into fog
Near Fenqihu Station
Auf etwa 2200 Metern Höhe angekommen klappt der Check-In trotz Sprachbarriere ganz gut und wir betreten unser winziges Zimmer, an dem aber wirklich nichts auszusetzen ist — vorausgesetzt, die elektrische Heizdecke geht uns nicht in Flammen auf.
A tree branch with a few deep pink cherry blossoms
The last Cherry Blossoms
Nach kurzem Zwischenstopp auf dem Zimmer brechen wir auf, um zu tun, wofür alle hier herkommen: Wandern. Die Wanderschuhe ziehen wir hauptsächlich an, um zu rechtfertigen, sie ans andere Ende der Welt geschleppt zu haben — ein Großteil der Wege besteht aus Holzplanken und der Rest ist auch alles andere als anspruchsvoll.
Rays of light shining through a dense forest
Straylight
Was den Wegen an sportlichem Anspruch fehlt, machen sie mit der Landschaft locker wieder wett (ist ja auch nicht so, als wären wir hier, um Sport zu machen...): Wo bei uns auf 2000m die Bäume langsam verschwinden, ist hier noch dichter Nadelwald mit riesigen Bäumen, die teilweise wohl noch Kleopatras Zeiten mitbekommen haben.
A string of withered red Chinese lanterns hanging in front of some trees, one of them with the top ripped off, hanging on a thread far lower than the other lanterns
Withered I
Bei Cherry Blossom Trails, Heiligen Bäumen, Hängebrücken und Tempeln ist für jeden was dabei. Ein Highlight: Der Three Generations Tree — ein Baum, der auf einem abgestorbenen Baum wächst, der selbst auf einem noch älteren abgestorbenen Baum gewachsen ist.

Wir sind fast fertig mit unserem Rundweg, als wir am Ciyun Tempel vorbeikommen, der in der Kolonialzeit nach japanischem Vorbild hier errichtet wurde.
Eine freundliche Nonne verkauft uns zwei Tassen schwarzen Tee aus den berühmten Anbaugebieten am Alishan. In perfektem Englisch und mit einer sanften Stimme, die man wohl nur haben kann, wenn man seinen Seelenfrieden gefunden hat, sagt sie "There will be a really nice sunset today", und erklärt uns, von wo der gut zu sehen sei.
A withered metal sign with Chinese writing fixed to the bark of a large tree
Withered II
Eigentlich hatten wir nicht vor, auf den Sonnenuntergang zu warten, aber die Tipps buddhistischer Bergnonnen sind im Allgemeinen schwer zu ignorieren. Also setzen wir uns an einen Tisch am Rand des Tempels, trinken unseren Tee und packen die Onigiri von Seven-Eleven aus.
Die Frau neben uns könnte einer Teewerbung entsprungen sein, und ein bisschen fühlt man sich auch so: In einem entlegenen Tempel umgeben von Wald mit einer dampfenden Tasse Tee...

Die Pause am Tempel mit Tee und einem Snack auf einer Höhe von 2200 Metern mit Aussicht auf ein atemberaubendes Wolkenmeer gehört zu den Momenten, die ich von dieser Reise nie vergessen werde — die Abgeschiedenheit und Umgebung ließ uns tatsächlich einen Moment innehalten.
The sun setting in a see of clouds behind a blossoming cherry tree
Drowning in the clouds
Der Sonnenuntergang ist dann auch tatsächlich spektakulär — nicht, dass wir daran gezweifelt hätten. Von einer kleinen Plattform aus schauen wir zu, wie die Sonne langsam in der Sea of Clouds, für die Alishan so berühmt ist, verschwindet.
Layered silhouettes of trees and mountains in the distance with clouds and fog in between
All My Layers
03:37 — Wessen Idee war das noch mal?

Das Zimmer ist stockdunkel und die Heizdecke hat es noch nicht geschafft, uns umzubringen. Es dauert ein paar Sekunden, zu verarbeiten, warum der Wecker klingelt und dass wir jetzt tatsächlich aufstehen müssen. Immerhin wollen wir, so wie alle, die hier übernachten, um 04:30 den Sunrise Train nach Zhushan bekommen, um den Sonnenaufgang zu sehen.
A deep orange sunrise sky visible atop some trees still laying in relative darkness
Pretty Colors
Einem weiteren Tipp unserer Lieblingsnonne folgend lassen wir den Großteil der Menschenmassen an der Zugstation hinter uns und laufen zehn Minuten zu einer etwas entfernten Aussichtsplattform, von wo wir beobachten, wie sich langsam der Himmel verfärbt.
A crowd of Asian tourists sitting on a multi-tiered podium
Sunrisecrowd
In dem Moment, in dem sich die Sonne endlich hinter den Bergen hervorschiebt, geht ein kollektives 'Ohh' durch die Menge, in der wir anscheinend die einzigen nicht-asiatischen Touristen sind.
Leider habe ich trotz des Gigabytes an Speicher, das ich in Fotos investiere, noch kein Sonnenaufgangsbild, mit dem ich so richtig zufrieden bin. Stattdessen hier noch ein Bild vom Sonnenuntergang, in der Hoffnung, dass der Unterschied nicht auffällt.
The sun setting above a sea of clouds surrounded by mountains
Definitely a Sunrise
Ob das Frühstück jetzt als 'unbesiegbar' durchgeht, vertiefen wir hier nicht weiter — wenn man das nach nichts schmeckende Reisporridge vermeidet aber ganz okay (vielleicht soll das ja auch so?).
An old red train driving towards the camera into a curve through some trees
Morning Train
Next Stop: Tainan

10 Uhr morgens, 31°C, gerade einmal 80% Luftfeuchtigkeit und Sonnenschein. Wie könnte ein Tag schöner beginnen? Wieder wissen die mich kennen Bescheid: Es gibt viele Wege.
A Chinese character artfully painted in white on a brick wall
I don't know what it means but it's pretty
Wir verlassen unsere angenehm klimatisierte Unterkunft im japanischen Stil (sehr schön, inklusive auf-dem-Boden-schlafen und Tatami, 10/10 Dusche) und machen uns nach einem Frühstück um die Ecke auf ins National University History Museum. Endlich einmal ein Nationalmuseum, in dem wir mehr über die Geschichte lernen können. Wenn da nicht der Fakt wäre, dass das Museum nicht mehr existiert, was uns Google Maps leider verschwieg. Aber gar nicht so schlimm, denn bei dem Wetter macht es richtig Spaß, über den Campus der schattenfreien Nationaluniversität zu laufen.
Interior of a large concrete sculpture with a polygon-shaped opening at the top letting light in from above
Concrete Structures
In mehreren Festungsanlagen des Viertels Anping bekommen wir dann doch noch etwas über die Geschichte — zumindest die Tainans — zu hören. Im 17. Jahrhundert von den Niederländern kolonialisiert und später über mehrere Dynastien in Chinesischer Hand, bis zur japanischen Kolonialisierung zeigt sich hier in Tainan die Vielfalt dieser unterschiedlichen Einflüsse. Es ist sozusagen der historische Kern Taiwans und auch die ehemalige Hauptstadt der Insel. Der unverkennbare Backstein-look lässt unschwer erkennen, welche Häuser von den Niederländern erbaut wurden.
A roof decoration in the shape of a red-scaled fish spewing stylized water onto the shingled roof
Flying Fish
Ein kleines Stück hinter Fort Zeelandia finden wir auch das Anping Tree House — ursprünglich ein von den Japanern genutztes Salzlagerhaus, das nach rund 60 Jahren Leerstand komplett von Bäumen überwachsen ist.
Roots growing over a red-brick wall, filling the cracks between the bricks
Nicht das Anping Tree House, aber sieht so ähnlich aus
Heute werden in den überwucherten Hallen ein paar Gemälde ausgestellt und über die Geschichte des Lagerhauses informiert, über das von Baumstämmen durchbrochene Dach führt ein Laufsteg durch das bizarre Wäldchen.
A white sculpture of two children looking curiously up towards a building
Look and see / Over there
White-and-blue paper wind wheels in various pots of plants on a windowstill
Windmills
Als letzten Programmpunkt für heute laufen wir noch auf eine vorgelagerte Halbinsel, auf deren Strand gerade im Rahmen eines Kunstfestivals mehrere große Skulpturen zu sehen sind.
A beach area with bent metal poles in rainbow-shades sticking out from the sand, some hammocks suspended between them with people resting or taking pictures in the installation
Photoforest
A surfer carrying their board across the beach with a large castle-like construction made of wooden stakes behind them
Sandcastle
Die beeindruckendste ist ein vierzig Meter hohes Gebilde aus ehemaligen Austernfarmen, die hier im Wasser lagen und in dessen Schatten sich jetzt einige Besucher ausruhen und die Fotogelegenheiten nutzen.
A young couple in matching white tops and black shorts standing next to each other on the shoreline, the woman stretching out one leg towards the water
Cute
A tiny blue wooden hut apparently built on top of a roof surrounded by trees, with other houses visible in the distance
The Blue House
A large neon sign showing a cartoon-illustration of a boy in a baseball cap extending his hand
See ya