Going Somewhere

Die Frage nach dem Ei
April 11th 2019

14:10 — Irgendwo zwischen Taitung und Lüdao

Ich trinke einen Schluck Wasser, schließe die Augen und hoffe, dass mein Kreislauf durchhält — von links und rechts hört man würgende Touristen, ab und an unterbrochen durch das Abreißen von Plastiktüten.

Mit anderen Worten: Die Fähre auf die Grüne Insel wird ihrem Ruf gerecht. Wider Erwarten überleben wir die einstündige Überfahrt aber unbeschadet und werden auf der Insel von unserem Host in Empfang genommen.

Entgegen meinen bereits schlechten Erfahrungen mit Seekrankheit überstehe ich die Fährfahrt ebenfalls mit nur leichten Kreislaufproblemen und Schweißausbrüchen.
A rock formation on a beach of fine white sand with green hills in the background
Welcome to Lüdao
Um hier auf der Insel vom Fleck (und überhaupt zu unserem Zimmer) zu kommen, mieten wir am Hafen noch einen der Scooter, die hier das absolute Hauptverkehrsmittel bilden (Guter Tipp um Locals von Touristen zu unterscheiden: Helm = Tourist). Eigentlich dürften wir nur einen kleinen Elektroroller bekommen, aber nachdem Jan die Frage, ob er ein 'Good Driver' sei, bejaht, steht einem richtigen Roller nichts mehr im Wege.

Zugegeben, dass die Frage auf Roller bezogen war, habe ich erst danach gecheckt. Nach ein, zwei Kurven habe ich mich allerdings schon relativ sicher gefühlt und schnell Spaß an der Sache gefunden.
A square-shaped hole in a spotty concrete wall making the green landscape behind it look like a painting on a wall
Landscape Painting
Nach einer (sicheren!) kurzen Fahrt landen wir im Reefs Café — wenn man sich mit je zwei Rucksäcken zwischen voll besetzten Tischen durchschlängelt, kommt man an eine unscheinbare Tür mitten im Café, hinter der sich unser Zimmer versteckt. Auch wieder mit auf-dem-Boden-schlafen, diesmal aber weniger japanisch und mehr Bett-war-halt-nicht-drin.
Jan's silhouette standing on a rock with the setting sun in the background
Nein Jan, wir nehmen nicht 'King' als Bildunterschrift
Jetzt, da Jan einen fahrbaren Untersatz hat, kann man gerade so noch Fußwege von maximal fünf Minuten durchsetzen — wobei ich zugeben muss, dass Fahrtwind in der Hitze wirklich gut tut. Nachdem wir uns also kurz das Human Rights Memorial (dazu später mehr) um die Ecke angeschaut haben, fahren wir zum Niutoushan, einem kleinen Berg am Nordzipfel Lüdaos.
A woman jumping into the air with her arms stretched out, hair and clothes blown back by the wind, being photographed by a man kneeling in front of her
Blown away?
Hier oben hat man eine unglaubliche Aussicht auf die Insel und das Meer, allerdings war ich auch selten in meinem Leben so kurz davor, von einer Klippe geweht zu werden — der Wind bläst wahnsinnig stark hier.
Nils standing on a cliff by the sea with a camera, strong wind blowing in his hair, shirt, and bag
Qualitätsjournalismus unter Extrembedingungen
Ein Stück weiter die Küstenstraße entlang stoßen wir auf keine geringere als die 'Little Great Wall', eine niedliche Kopie der Chinesischen Mauer auf der bergigen Steilküste.
A narrow wooden walkway with railings to either side winding along the ridge of a green hill and out of sight
Small but cute
Um den Tag ausklingen zu lassen (und ja, auch um mit der Dusche im Lagerraum / Bad unserer Unterkunft nicht alles zu überfluten) fahren wir noch ein Stück über die Insel zu den Zhaori Hot Springs — einer der drei einzigen Heißen Salzwasserquellen der Welt — die um diese Jahreszeit 24 Stunden geöffnet haben.
Die Wassertemperaturen in den verschiedenen Becken reichen von neutral gesehen ziemlich kalt bis hin zu 41.6 Grad, oder wie Jan meint 'gar nicht so warm'.

Diese Annahme erwies sich nach kurzer Zeit als falsch, ich vermerke: es ist schon sehr warm...
Auf dem Rückweg im Dunkeln galt es den seitlich über die Straße laufenden Krabben, sowie am Rand stehenden Touristen auszuweichen, die nach irgendwelchen Tieren Ausschau zu halten scheinen.

Golden sunlight reflecting off the rough sea on a rocky, monochrome shoreline
Golden Sea
Zwei junge Taiwanerinnen gegenüber von uns haben ein Plastiknetz mit fünf Eiern mitgebracht, das sie jetzt anscheinend im heißen (Bade-)Wasser der Quelle zu kochen versuchen, bis ein Bademeister, der uns vielleicht sagt, dass wir eigentlich Badekappen tragen sollten, dem Spaß ein Ende bereitet.
Dass die beiden am nächsten Tag mit einem identisch aussehenden Netz Eier beim Frühstück in unserem Café erscheinen, wirft nur noch mehr Fragen auf, auf die wir wohl nie Antworten bekommen werden.
Barbed wire running along the top of a concrete wall leading to a round, abandoned-looking watchtower
Prison Island
Nach dem Frühstück entgehen wir für einen Moment der Hitze im Human Rights Museum, das in einem ehemaligen Gefängnis untergebracht wird. Wie viel wir vom Inhalt der Ausstellung richtig verstanden haben, ist fraglich, da historische Nuancen nicht zu den Stärken von Google Translate zählen — die euphemistischen Namen der Zeit (bei der 'Ocean Villa' handelt es sich ebenfalls um ein Gefängnis für politische Gefangene) helfen dabei nicht unbedingt weiter.

Zu Zeiten der autoritären Diktatur des Kuomintangregimes wurden bis 1990 politische Gefangene auf der Insel gehalten. Nach dem Ende des ein-Parteien-Staats und der Aufarbeitung der Verbrechen, die unter dem Begriff des 'White Terror' zusammengefasst werden, wurde das ehemalige Gefängnis der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und den politisch verfolgten ein Denkmal geschaffen, der ein beliebter Spot bei Touristen auf der Insel ist.
A window in a rough stone wall showing the inside of an abandoned house
Inside or Outside?
Nach der heutigen Dosis Geschichte schauen wir noch bei einem Stück der Steilküste vorbei, an dem man die verfallenen Überreste eines Eingeborenen-Dorfes sehen kann — als Bonus gibt's noch dazu eine große Felshöhle.
A crumbling front wall of a small concrete-and-stone house with a typical angled roof shape standing in the wilderness
Abandoned Houses
Apokalypse?

Eigentlich wollen wir gerade auschecken und uns auf den Weg zum Hafen machen, aber auf der Straße ist gerade der Kriegszustand ausgebrochen: Aus allen Richtungen werden lange Ketten von Böllern gezündet, bis die Straße vollständig von roten Papierhülsen bedeckt ist. Durch das Höllenfeuer laufen zwei Meter große Götter, begleitet von zwei von je vier Männern getragenen Schreinen, die am Straßenrand anhalten, wenn jemand ein Räucherstäbchen als Opfergabe darbieten möchte.
Two street performers wearing colourful, larger-than-life costumes walking on a street littered with burnt-out fireworks
Gods walking among us
Als sich die Explosionen langsam legen, erklärt uns unser Host, dass die Götter Lüdaos heute, wie jedes Jahr, symbolisch um die Insel ziehen, böse Geister verjagen und Glück bringen.