Dusk Till Dawn
Nachdem unser Programm bis jetzt recht Stadt-lastig war, machen wir uns heute schon früh auf den Weg in die Natur — die Alishan National Forest Recreation Area, um genau zu sein. Auf den Berg geht's mit dem Alishan Forest Train, einem hübschen alten Schmalspurzug, dessen Wert als Tourismusattraktion sich Jan noch nicht so ganz erschließt.
Der Zug bahnt sich schaukelnd den Weg durch steile Berglandschaften, ab und zu gibt es chinesische Durchsagen zum Streckenverlauf, auf die hin alle angestrengt aus dem Fenster schauen. Wenn wir gerade nicht die Aussicht bewundern, lesen wir Reviews zu unserem Hotel in Alishan — "Spend more money on living, don't abuse yourself" ist eine davon. Außerdem sei das Frühstück "unbesiegbar" — was das bei einer Ein-Stern Bewertung zu bedeuten hat, bleibt uns nur zu vermuten.
Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob der Zug nur als 'historisch' gilt, weil er etwas wackelt und alt ist, ist die Fahrt trotzdem einigermaßen entspannend. Als einziger Europäer unter chinesischen Touristen zu sein hat auch einen gewissen Unterhaltungswert.
Auf etwa 2200 Metern Höhe angekommen klappt der Check-In trotz Sprachbarriere ganz gut und wir betreten unser winziges Zimmer, an dem aber wirklich nichts auszusetzen ist — vorausgesetzt, die elektrische Heizdecke geht uns nicht in Flammen auf.
Nach kurzem Zwischenstopp auf dem Zimmer brechen wir auf, um zu tun, wofür alle hier herkommen: Wandern. Die Wanderschuhe ziehen wir hauptsächlich an, um zu rechtfertigen, sie ans andere Ende der Welt geschleppt zu haben — ein Großteil der Wege besteht aus Holzplanken und der Rest ist auch alles andere als anspruchsvoll.
Was den Wegen an sportlichem Anspruch fehlt, machen sie mit der Landschaft locker wieder wett (ist ja auch nicht so, als wären wir hier, um Sport zu machen...): Wo bei uns auf 2000m die Bäume langsam verschwinden, ist hier noch dichter Nadelwald mit riesigen Bäumen, die teilweise wohl noch Kleopatras Zeiten mitbekommen haben.
Bei Cherry Blossom Trails, Heiligen Bäumen, Hängebrücken und Tempeln ist für jeden was dabei. Ein Highlight: Der Three Generations Tree — ein Baum, der auf einem abgestorbenen Baum wächst, der selbst auf einem noch älteren abgestorbenen Baum gewachsen ist.
Wir sind fast fertig mit unserem Rundweg, als wir am Ciyun Tempel vorbeikommen, der in der Kolonialzeit nach japanischem Vorbild hier errichtet wurde.
Eine freundliche Nonne verkauft uns zwei Tassen schwarzen Tee aus den berühmten Anbaugebieten am Alishan. In perfektem Englisch und mit einer sanften Stimme, die man wohl nur haben kann, wenn man seinen Seelenfrieden gefunden hat, sagt sie "There will be a really nice sunset today", und erklärt uns, von wo der gut zu sehen sei.
Eigentlich hatten wir nicht vor, auf den Sonnenuntergang zu warten, aber die Tipps buddhistischer Bergnonnen sind im Allgemeinen schwer zu ignorieren. Also setzen wir uns an einen Tisch am Rand des Tempels, trinken unseren Tee und packen die Onigiri von Seven-Eleven aus.
Die Frau neben uns könnte einer Teewerbung entsprungen sein, und ein bisschen fühlt man sich auch so: In einem entlegenen Tempel umgeben von Wald mit einer dampfenden Tasse Tee...
Die Pause am Tempel mit Tee und einem Snack auf einer Höhe von 2200 Metern mit Aussicht auf ein atemberaubendes Wolkenmeer gehört zu den Momenten, die ich von dieser Reise nie vergessen werde — die Abgeschiedenheit und Umgebung ließ uns tatsächlich einen Moment innehalten.
Der Sonnenuntergang ist dann auch tatsächlich spektakulär — nicht, dass wir daran gezweifelt hätten. Von einer kleinen Plattform aus schauen wir zu, wie die Sonne langsam in der Sea of Clouds, für die Alishan so berühmt ist, verschwindet.
03:37 — Wessen Idee war das noch mal?
Das Zimmer ist stockdunkel und die Heizdecke hat es noch nicht geschafft, uns umzubringen. Es dauert ein paar Sekunden, zu verarbeiten, warum der Wecker klingelt und dass wir jetzt tatsächlich aufstehen müssen. Immerhin wollen wir, so wie alle, die hier übernachten, um 04:30 den Sunrise Train nach Zhushan bekommen, um den Sonnenaufgang zu sehen.
Einem weiteren Tipp unserer Lieblingsnonne folgend lassen wir den Großteil der Menschenmassen an der Zugstation hinter uns und laufen zehn Minuten zu einer etwas entfernten Aussichtsplattform, von wo wir beobachten, wie sich langsam der Himmel verfärbt.
In dem Moment, in dem sich die Sonne endlich hinter den Bergen hervorschiebt, geht ein kollektives 'Ohh' durch die Menge, in der wir anscheinend die einzigen nicht-asiatischen Touristen sind.
Leider habe ich trotz des Gigabytes an Speicher, das ich in Fotos investiere, noch kein Sonnenaufgangsbild, mit dem ich so richtig zufrieden bin. Stattdessen hier noch ein Bild vom Sonnenuntergang, in der Hoffnung, dass der Unterschied nicht auffällt.
Ob das Frühstück jetzt als 'unbesiegbar' durchgeht, vertiefen wir hier nicht weiter — wenn man das nach nichts schmeckende Reisporridge vermeidet aber ganz okay (vielleicht soll das ja auch so?).
Next Stop: Tainan
10 Uhr morgens, 31°C, gerade einmal 80% Luftfeuchtigkeit und Sonnenschein. Wie könnte ein Tag schöner beginnen? Wieder wissen die mich kennen Bescheid: Es gibt viele Wege.
Wir verlassen unsere angenehm klimatisierte Unterkunft im japanischen Stil (sehr schön, inklusive auf-dem-Boden-schlafen und Tatami, 10/10 Dusche) und machen uns nach einem Frühstück um die Ecke auf ins National University History Museum. Endlich einmal ein Nationalmuseum, in dem wir mehr über die Geschichte lernen können. Wenn da nicht der Fakt wäre, dass das Museum nicht mehr existiert, was uns Google Maps leider verschwieg. Aber gar nicht so schlimm, denn bei dem Wetter macht es richtig Spaß, über den Campus der schattenfreien Nationaluniversität zu laufen.
In mehreren Festungsanlagen des Viertels Anping bekommen wir dann doch noch etwas über die Geschichte — zumindest die Tainans — zu hören. Im 17. Jahrhundert von den Niederländern kolonialisiert und später über mehrere Dynastien in Chinesischer Hand, bis zur japanischen Kolonialisierung zeigt sich hier in Tainan die Vielfalt dieser unterschiedlichen Einflüsse. Es ist sozusagen der historische Kern Taiwans und auch die ehemalige Hauptstadt der Insel. Der unverkennbare Backstein-look lässt unschwer erkennen, welche Häuser von den Niederländern erbaut wurden.
Ein kleines Stück hinter Fort Zeelandia finden wir auch das Anping Tree House — ursprünglich ein von den Japanern genutztes Salzlagerhaus, das nach rund 60 Jahren Leerstand komplett von Bäumen überwachsen ist.
Heute werden in den überwucherten Hallen ein paar Gemälde ausgestellt und über die Geschichte des Lagerhauses informiert, über das von Baumstämmen durchbrochene Dach führt ein Laufsteg durch das bizarre Wäldchen.
Als letzten Programmpunkt für heute laufen wir noch auf eine vorgelagerte Halbinsel, auf deren Strand gerade im Rahmen eines Kunstfestivals mehrere große Skulpturen zu sehen sind.
Die beeindruckendste ist ein vierzig Meter hohes Gebilde aus ehemaligen Austernfarmen, die hier im Wasser lagen und in dessen Schatten sich jetzt einige Besucher ausruhen und die Fotogelegenheiten nutzen.