Going Somewhere

A great, prosperous Nation
December 26th 2016

Erste Eindrücke

Bei unserer Einreise durch mehrere Stationen werden uns Fingerabdrücke genommen, Fotos geschossen, Fragen gestellt. Unter einer riesigen amerikanischen Flagge begrüßt uns das Portrait von Barack Obama (leider nicht mehr lange...), eigentlich eine Sache, die wir eher in Pyeongyang erwartet hätten als in Los Angeles. Am Flughafen benutzen wir zum ersten Mal UBER — Für eine sehr nette Fahrt mit einem gesprächigen Fahrer zahlen wir ca. 18 Dollar — ein Taxi hätte uns über 100 Dollar gekostet, dabei ist es genau das gleiche.
Angekommen und völlig übermüdet stellen wir fest, dass unser Raum noch nicht frei ist, weswegen der lang ersehnte Mittagsschlaf ausfällt und wir durchhalten müssen. Davor dürfen wir uns aber noch Sightseeing betreiben. Wir merken: Das Viertel in dem wir leben ist ziemlich heruntergekommen und nach Angaben unserer Gastmutter überwiegend von ausländischer Arbeiterschicht bewohnt. Aufgrund der vielen Obdachlosen und der Armut fühlt man sich auch nicht rund um die Uhr sicher — anders als im ländlichen China.


Gerade wenn man so durch die Straßen der Vorstadt läuft, fragt man sich, worauf der übertriebene Patriotismus der Amerikaner basieren soll — Die 'shining city on a hill' ist das hier auf jeden Fall nicht.

The New Americana

Ein Fastfood Laden am Rand einer vielbefahrenen Straße. Flackernde Neonröhren an den Wänden, kratzige spanische Musik aus Deckenlautsprechern, obligatorische Softdrinks in Farben, die in Deutschland verboten wären — Die USA, wie man sie sich vorstellt.
Wir warten gerade darauf, dass unsere Waschmaschine fertig wird und sind in der Zwischenzeit zum Frühstück / Mittagessen in das kleine Fastfood Restaurant namens Herkules geraten — danach geht's ab nach Downtown LA.

Der Unterschied zwischen Vorstadt und Downtown ist ziemlich groß — hier sieht man deutlich weniger Obdachlose und die Beschilderung ist nicht mehr zweisprachig.
Wir laufen vorbei an der architektonisch wahnsinnig beeindruckenden Walt Disney Concert Hall und statten dem MOCA (Museum of Contemporary Art, Jan jubelt schon innerlich) gegenüber einen Besuch ab.
A building made of abstract, wave-like metal surfaces against a cloudy sky
Futuristisch...
An organic-looking futuristic facade made of white plastic with many holes in it and an oval shaped window looking like an eye
...und außerirdisch
Danach laufen wir ein kleines Stück nach Little Tokyo, wo auf einem kleinen Platz in pseudojapanischem Stil viele asiatische Restaurants und Geschäfte untergebracht sind.
Red and white lanterns with Chinese characters hanging among a decorated Christmas tree outside
Christmas in Little Tokyo
Außerdem finden wir hier in einer umfunktionierten Fabrikhalle eine Zweigstelle des MOCA (noch mehr Kunst!), in der gerade Doug Aitkens 'Electric Earth' ausgestellt wird — tolle Ausstellung!
An artwork consisting of the letters 'Now' built out of mirrors and glass, reflecting light from the surrounding exhibition
Hier & Jetzt
Zum Abendessen geht es weiter nach Chinatown und dann zurück in die Vorstadt.

Walk of Lame?

Am nächsten Tag wachen wir in unserem Kinderzimmer-Hochbett auf und frieren ganz schön — das Wetter ist ziemlich kalt für LA und Wärmeisolation kennt man hier anscheinend nicht. Vielleicht trägt das ja zur Weihnachtsstimmung bei, schließlich ist heute der 24. Dezember.
The famous white letters spelling 'Hollywood' on a hillside
Das Foto musste wohl sein
Heute wird ein bisschen das obligatorische Touristenprogramm abgearbeitet: Wir fahren nach Hollywood an den Walk of Fame. Wie erwartet besteht dieser aus viel zu vielen Menschen, die irgendwas von mir wollen und ein paar Sternen auf dem Boden. Spektakulär.
Neben dem Stern von Donald Trump und Steven Spielberg, sowie anderen Größen der Filmindustrie und Personen des öffentlichen Lebens in den USA, konnten wir einen Blick auf mehr oder weniger bekannte Kinos werfen.
Close-up of silver and green Christmas ornaments in a tree
Weihnachtsdeko
Nachdem uns vier verschiedene Rapper ihre CDs angeboten haben drehen wir um und laufen zum Griffith Park — dem riesigen Park, in dem unter anderem auch der Hollywood Schriftzug zu finden ist. Den lassen wir aber links liegen und steuern auf das Griffith Observatory zu — eine Sternwarte mit schönem Ausblick auf den Park und die Stadt.
People standing on a railing looking into the distance with the glaring sun low in the sky above a single cloud
Auf dem Griffith Observatory
Irgendwo am Straßenrand finden wir dann ein chinesisch / koreanisches Restaurant, in dem wir unser Weihnachtsessen zu uns nehmen — Glasnudeln & Reis mit Hühnchen.
Während der 20 minütigen Uberfahrt zurück belauschen wir die angeregte Diskussion unseres Fahrers (geboren in Ghana, aufgewachsen in Mailand) und einem weiteren Fahrgast, der als Kind aus Mexiko nach LA kam, die meinen Englischunterricht der letzten zwei Jahre komplett zusammenfasst: Es geht um den amerikanischen Traum, Multiculturalism, Globalisierung, Bandenkriminalität und vieles mehr. Die beiden sind sehr dankbar für die Chancen, die sie hier bekommen haben — kostenlose Schulen, um genau zu sein. Gerade für uns, die wir die USA eher mit Unsummen an Studiengebühren verbinden, eine interessante Perspektive.
Die Autofahrt bestätigt alles, was GTA mir seither mitgegeben hat. Die Wörter "like", "shit", "man" und "motherfucker" kommen ungelogen unzählige Male in einem Satz vor.

Take me to Church

Weihnachtsmorgen. Die Kinder bei uns im Haus sind schon seit ungefähr halb 7 damit beschäftigt, einen riesigen Berg Geschenke auszupacken. Vor zwei Tagen hat uns einer unserer Uber Fahrer (Wolfgang, aus Österreich) ganz begeistert von seiner Kirche in Pasadena erzählt und uns empfohlen, am Weihnachtsmorgen mal vorbeizuschauen um zu sehen, wie Kirche in den USA so sein kann.
Gesagt, getan.
A sculpture of large white birds rising up around a central column in front of a modern building with a slab roof supported by tall columns, almost reminiscent of Greek temples
Die HRock Church
Die sehr multikulturell besetzte Kirche sieht für uns eher aus wie ein Konzertsaal — inklusive Liveband auf der Bühne, die zu Beginn des Gottesdienstes christliche Lieder spielt, die in Neuseeland auf Life FM laufen würden.
Die Stimmung ist gut, es wird kurz Werbung für den kircheneigenen Kaffee gemacht ("Jesus and Coffee go well together"), dann beginnt die Predigt, teilweise untermalt mit Klaviermusik oder kurzen Videoclips auf Facebook-Niveau.
A large, theatre-like auditorium with rows of empty seats and a band preparing their equipment in front of a red velvet curtain
Der Innenraum (wir waren zu früh...)
Nachdem der Pfarrer eine Geschichte aus seinem Leben erzählt, bei der er einen Weihnachtsbaum seitlich aus einem Autofenster festhalten musste und betete, die Kraft zu haben, nicht loszulassen (Spoiler: Die Geschichte endet damit, den Baum, der die Straße herunterrollt, wieder einzufangen), wird es dann immer bizarrer: Er erklärt, der Heilige Geist hätte ihm heute einen Namen zugeflüstert — Madison. Ist denn irgendeine Madison im Saal? Nein? Wirklich nicht?
Achso, sein Hund heißt ja Madison, vielleicht meinte Gott den (kein Scherz!). Ah, doch — da oben auf der Empore: Ein dreijähriges Mädchen namens Madison, das prompt eine Zukunft als Prophetin attestiert bekommt. Die Familie, die jetzt auch göttlichen finanziellen Segen genießt, soll immer Zettel und Papier zur Hand haben, um mögliche Weissagungen Madisons, die in einer Reihe mit Elija und Jakob genannt wird, festzuhalten.

Danach wird die Großzügigkeit eines Football Quarterbacks, der seiner Mannschaft Flachbildfernseher geschenkt hat, mit der Großzügigkeit Gottes verglichen — "How many of you know that the gift our father gave us does not even compare?" — und die Geschichte von Steve Jobs mit einem dezenten Seitenhieb gegen Abtreibung kombiniert. Inklusive eines "Think different" Bildes von Jobs auf der Leinwand natürlich.

Die ganze Predigt ist rhetorisch hochinteressant — gespickt mit rhetorischen Fragen im Stil von "How many of you know that you have a biological father and a heavenly father?" und "Aren't you glad we aren't slaves any longer?", einigen Taschenspielertricks und mehr Repetitii als man zählen kann.

Kurz gesagt: Das ganze ist wirklich bizarr und für uns nicht als Gottesdienst ernst zu nehmen. Hier sieht man Gott und Jesus als sehr konkret — der Heilige Geist flüstert Wörter ein und seine Anwesenheit wird in manchen Momenten ganz besonders gespürt. Den erhofften Weihnachtsgottesdienst gibt es also nicht, dafür war der 'Gottesdienst' für uns aber trotzdem unglaublich interessant. Wer nachvollziehen will, was wir meinen, kann sich im Internet auch Aufzeichnungen anschauen.

Die 'Predigt' erweckte bei uns etwas den Anschein als sei das alles eine Art Stand-up-Comedy für Religiöse, aber irgendwie doch ernst gemeint. Dies zeigt uns auch wieder eine typisch amerikanische Eigenschaft: Alles muss Entertainment enthalten. Egal ob Wahlkämpfe oder Gottesdienste, ohne Musikuntermalung und viel Show geht gar nichts. Da es keine offiziellen Kirchenverbände gibt, sind die Grenzen zu Sekten oft fließend — dies wurde uns sehr deutlich.

Allein in LA

Nach dieser spirituellen Grenzerfahrung laufen wir ein Stück durchs ausgestorbene 'Old' Pasadena — am Weihnachtsmorgen ist hier natürlich kein Mensch auf der Straße und die meisten Geschäfte haben zu. Zum Glück findet sich ein Japaner, der uns auch am 25. Dezember noch Ramen serviert.
An elaborate white-and-red, renaissance-style domed roof against a clear blue sky
Die City Hall
Danach geht es weiter zum California Institute of Technology (Funfact: Hier spielt The Big Bang Theory), dessen Campus sich aber als unspektakulär entpuppt.
Strings of lights spanned across a street in front of three palm trees and a dark blue sky
Welcome to Santa Monica
Wir nehmen eine der hier seltenen Bahnverbindungen ans andere Ende der Stadt nach Santa Monica und schauen uns den Sonnenuntergang über dem von Menschenmassen überfluteten Santa Monica Pier an.
A small house in the distance on a wooden pier on a sandy beach
Pier, Sand & Meer
Obwohl sich Nils aufgrund der vielen Menschen notorisch weigerte, auch nur einen Fuß auf dieses Pier zu setzen, konnte ich ihn letztendlich dazu überreden, sich diese Sehenswürdigkeit nicht entgehen zu lassen.