Going Somewhere

Behind the Firewall
October 29th 2016

Gestern — gegen 19:00

Mit je zwei Rucksäcken beladen kommen wir mit der Metro am Grenzübergang Louhu an, reisen aus aus Hong Kong und ein in die People's Republic of China.
Der erwartete Kulturschock bleibt erstmal aus, denn Shenzhen, die mit 22 Millionen Einwohnern mit Abstand größte Stadt auf unserer Reise, unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von Hong Kong: Die Fahrweise wird etwas rauer, die Gebäude im Schnitt etwas niedriger und die Europäer verschwinden von den Straßen, auf denen jetzt auch mehr Fahrräder zu sehen sind. Abgesehen davon fällt uns, wie im Reiseführer angekündigt, natürlich sofort auf, dass wir hier mit unseren umfangreichen Kantonesischkenntnissen ("Hallo", "Danke/Entschuldigung", "Bitte beachten Sie die Lücke zwischen dem Zug und dem Bahnsteig") nicht mehr weit kommen: Die Migrantenstadt Shenzhen spricht weitgehend Mandarin.
Nachdem an der Metrostation unser Gepäck dann von semimotiviertem Sicherheitspersonal durchleuchtet wurde, kommen wir im Panda Hostel im 13. Stock an. Im Eingangsbereich hat sich eine Gruppe chinesischer Gäste um ein Brettspiel versammelt, nebenbei wird geraucht.

Dass dabei mehrmals der Feuermelder angeht, scheint hier niemanden zu stören.
A Chinese chess set in front of a large Minion plush toy
Kann ich leider nicht spielen: Chinesisches Schach im Hostel
Unser Zimmer wird außer uns nur noch von einem russischen Tanzlehrer aus St. Petersburg bewohnt, der hier Lateinamerikanische Tänze unterrichten will und — zu unserem Glück — auch sehr gut chinesisch spricht. Mit ihm geht's dann noch schnell um die Ecke in ein chinesisch-muslimisches Restaurant und einen Supermarkt gegenüber, wo wir auch chinesisches "Milk Candy" (Milch in Tablettenform) zu probieren bekommen — Der Geschmack der leicht milchigen Lutschtablette erschließt sich uns aber nicht.
Wieder im Hostel stoßen wir auf das bisher größte Hindernis unserer Reise — die "Great Firewall", also die Internetzensur Chinas. Alles, was mit Google (oder DuckDuckGo) zu tun hat (Karten, Mail, Suche, Übersetzer, Youtube, ...), funktioniert hier nicht — viele Apps laden nur sporadisch und Verbindungen ins Ausland sind chronisch langsam. Mittlerweile funktioniert das Internet zwar unzensiert auf unserem Netbook (Shoutout an das Tor Project), die Handys bleiben aber noch hartnäckig.

Am nächsten Morgen bekommen wir dann das erste Mal Shenzhen bei Tageslicht zu sehen — der Ausblick vom Hostel aus ist nicht schlecht, wenn auch von leichtem Smog getrübt.
A row of apartment buildings leading off into the distance with large green trees in between seen from above
Ausblick aus dem 13. Stock
Shenzhen ist, wie man auf dem Bild schon erahnen kann, für chinesische Verhältnisse eine sehr grüne Stadt — und dank des Elektronikbooms auch eine der wohlhabendsten des Landes.

Shenzhen erscheint auf den ersten Blick moderner, als man erwarten würde. Die Stadt ist zudem auch noch sehr jung, daher wird auch noch überall sehr viel gebaut.
Modern, glass-clad high-rise buildings on a busy street intersection
Downtown Shenzhen
Und damit wären wir dann auch schon bei unserem ersten Tagesordnungspunkt: Shenzhen ist das Epizentrum des weltweiten Elektronikhandels — die Chancen, dass das Gerät, auf dem ihr diesen Eintrag gerade lest, zumindest teilweise schon mal hier über den Tresen gegangen ist, sind mehr als gut. In den riesigen Verkaufshallen hier bekommt man alles, was auch nur entfernt mit Elektrizität zu tun hat — für mich ist also klar: Da muss ich hin.
Spätestens als wir das erste Gebäude des Hua Qiang Bei Viertels betreten wird klar: Es stimmt. Hier gibt es auf über 10 Stockwerken alles von LEDs in sämtlichen Farben und Formen über Speicherchips und Transistoren am laufenden Meter bis hin zu fertigen Laptops, Dronen und allerlei seltsamen Gerätschaften.
A market booth overloaded with boxes full of mainboards and other computer components
Mainboardstand
Zwischen den Ständen der verschiedenen Händler spielen kleine Kinder und wer gerade nicht mit Feilschen, Löten oder Schrauben beschäftigt ist, schaut auf einem Laptop Filme, trinkt traditionellen chinesischen Tee oder isst aus Styroporbehältern.

Wir wurden unter anderem auch bei einigen Händlern fündig und sind jetzt im Besitz von hochqualitativen Produkten, wie einer Soundbox für 3,50€ und einem MP3-Player für ca. 4€.

Gegen Nachmittag haben wir genug geshoppt und begeben uns zum Ausgleich in den riesigen Botanischen Garten (eigentlich eher ein Wald/Park als ein Garten), wo wir einen idyllischen See mit kleinen Booten, einen buddhistischen Tempel, einen Bambusgarten und generell viel Grün zu sehen bekommen.

Wie ich auch herausfinden durfte, sind die Bananen, die dort liegen, nicht zum Verzehr gedacht, sondern als Opfergabe — Und diejenigen, die fragen, ob sie eine kaufen könnten, werden ausgelacht. Nicht, dass mir das passiert ist...
A white pigeon sitting on a roof made of tubular glazed clay tiles with Chinese ornaments
Tempeltaube
Dass wir uns in selbigem Garten dann für etwa 1,5 Stunden zwischen Dämmerung und Dunkelheit komplett verlaufen, den ein oder anderen Abstecher über unbeleuchtete Baustellen nehmen und dann endlich dank der Hilfe zweier chinesischer Frauen und Google Translate (Funktioniert zum Glück offline) wieder zum Ausgang finden, ist eine andere Geschichte...

Durch sie erfuhren wir auch, dass der richtige Weg tatsächlich über die unbeleuchtete Baustelle führt — Schuhe voller Schlamm inklusive. Bei der darauffolgenden Taxifahrt sind wir uns aber nicht einig, wer um sein Leben zu fürchten hat: Wir im Taxi oder die Mopedfahrer, die der Taxifahrer ohne zu zucken mehrmals schneidet und um ein Haar aus dem Weg geräumt hätte.
Naja so schlimm war's auch nicht... der Fahrer ist für Shenzhens Standards sehr gut gefahren und hat das Unfallrisiko recht klein gehalten.